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Grameen: Eine Bank vergibt Kleinstkredite an die Armen

 

Professor Muhammad Yunus fing mit 27 Dollar Kleinstkredit, verteilt auf 42 arme Familien, an. Inzwischen (2000) konnten durch seine Initiative weltweit 12 Millionen völlig verarmte Menschen solche Minikredite in Anspruch nehmen und sich dadurch mit einfachen Dingen selbständig machen. Einer der Leitsprüche von Prof. Yunus lautet: „Wenn die Umstände nicht so sind, dass Sie Ihre Ideen verwirklichen können, dann ändern Sie die Umstände!“ Das tut er nachhaltig.


Ich habe ihn zunächst bei seinem Besuch in Deutschland interviewt und war im Jahr 2000 mit einem Kameramann in Bangladesh und habe ihn dort persönlich in seiner Bank besucht. Wir sind danach auch mit einem Übersetzer über die Dörfer gefahren und haben Kreditnehmer vor Ort befragt. Wir waren fasziniert von dem, was wir dort erlebt haben.

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Mit am Beeindruckendsten an der Geschichte von Muhammad Yunus ist für mich, zu sehen, wieviel ein einzelner Mensch auf der Welt bewirken und verändern kann. Franz Alt, der bei der Chancen-Konferenz der Initiative TERRA One World Network im Stuttgarter Rathaus am 22. Febuar 1999 ebenfalls dabei war, formulierte es treffend: „An Prof. Yunus sieht man, dass man nicht Bundeskanzler sein muss, um die Welt zu verändern. Es ist im Gegenteil so, dass WIR DIE bewegen müssen, ansonsten bewegt sich gar nichts.“

Das Zweite, was mich sehr an Muhammad Yunus beeindruckt hat, ist seine sagenhaft gute Laune und der orientalische Erzählstil, mit dem er von den Entwicklungen der Grameen-Bank erzählt. Dieser Mann denkt ganz offensichtlich in Lösungen und nicht in Problemen. Und er hat Spaß und viel Vergnügen dabei. Letzteres gibt ihm ganz offensichtlich die Kraft, viel kreativer zu sein und viel weiter zu kommen als alle die Leute, die ihren Focus zu sehr auf Problemen und möglichen Hindernissen haben.

Im Folgenden die interessantesten Nachrichten aus seinem 2000 erschienenen Buch (Grameen – eine Bank für die Armen, eine Autobiographie), den Vorträgen und dem Interview: Bangladesch ist ein Land mit einer Analphabetenrate von 90 Prozent. 40 Prozent aller Bangladeschis leben unterhalb des Existenzminimums. Die Bevölkerungsdichte des Landes beträgt 830 Einwohner je Quadratkilometer. Eine solche Dichte erhielte man in Europa nur dann, wenn man die Bevölkerung Englands, Frankreichs und Irlands auf dem Gebiet Bayerns zusammenpferchen würde.

Muhammad Yunus, selbst ein Bangladeschi, war 1974 Dekan der Wirtschaftsfakultät einer Universität im Südosten des Landes. In diesem Jahr brach eine sehr große Hungersnot über das Land herein und der Flüchtingsstrom verhungernder Menschen in die Städte wurde immer drastischer. Schließlich lagen mitten auf den Straßen die Toten herum und es wurden immer mehr. Angesichts solcher Zustände fragte sich Muhammad Yunus ernsthaft, welchen Sinn seine theoretischen Vorträge über wirtschaftliche Vorgänge und Beträge von Millionen und Milliarden Dollar machten, wenn die reale Wirtschaftslage des Landes so aussah, daß die Leute zu Tausenden verhungerten.

Er wollte konkret etwas unternehmen und begab sich zu diesem Zweck in ein nahegelegenes Dorf, in dem ebenfalls sehr große Armut herrschte. Er wollte vor Ort herausfinden, was er für diese Leute tun könnte. Yunus berichtet: „Ich traf dort eine Frau, die einen Bambusstuhl herstellte. Ich fragte sie, wieviel sie damit verdiene. Zuerst konnte ich es gar nicht glauben, wie arm diese Frau war, denn sie leistete wirklich gute Arbeit. Sie sagte mir, daß sie pro Tag nur einige Cents verdiente, weil sie kein eigenes Geld hatte, um Bambus zu kaufen. Sie musste sich beim Bambushändler Geld leihen. Dadurch war sie ihm ausgeliefert und mußte jeden Preis akzeptieren. Praktisch war sie eine Sklavenarbeiterin. Das Bambusmaterial für eine Stuhl hätte nur 22 Cents gekostet, aber sie hatte es nicht. Ich war total geschockt. Während ich in meinen Vorlesungen von Millionen und Milliarden sprach, hatte diese Frau nicht einmal ein paar Cent, um ihr Bambusmaterial zu kaufen. Ich ging dann durch ihr Dorf und machte eine Liste von Leuten, die auch Geld gebraucht haben. Auf meiner Listen standen schließlich 42 Namen. Diese 42 Leute benötigten zusammen nur 27 Dollar. Ich habe dann diese 27 Dollar den Leuten als Darlehen aus meiner eigenen Tasche geliehen. Die Menschen waren sehr glücklich darüber. Bis dahin wusste ich gar nicht, mit welch kleiner Summe man so vielen armen Menschen Glück und Wohlstand bringen kann. Daraufhin habe ich die Bank gefragt, ob diese Menschen keine Kredite bekommen könnten. Die Bank sagte „nein“. Die Armen seien nicht kreditwürdig. Ich wollte aber wissen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt. Ich habe selber Geld bei der Bank geliehen, habe mich selber als Bürge angeboten und habe es den armen Leuten weitergeliehen. Und die haben es pünklich zurückbezahlt. So also hat damals alles angefangen.“

Heute hat die Grameen-Bank Bangladesch 2,3 Millionen Kunden und 98% zahlen überpünktlich ihre Raten. Yunus sagt dazu: „Die meisten Banken arbeiten mit einer „Geld-Apartheid“. Sie leihen den Reichen und die Armen haben kein Recht, Geld zu bekommen. Aber wenn sie eine Chance haben, zahlen sie ehrlicher zurück als die Wohlhabenden.“ Sein Verhältnis zu traditionallen Geldinstituten charakterisiert er so: „Wir haben uns angesehen, wie die anderen Banken arbeiten und dann das genaue Gegenteil davon gemacht.“ Yunus wird inzwischen als Mann gefeiert, der die Armut besiegt. Der US-Präsident Bill Clinton schlug ihn für den Nobelpreis vor.

Kredite nur für arme Frauen
Yunus erkannte bei seinen verschiedenen Feldstudien in Bangladesch insbesondere, dass vor allem Frauen, die um Leben und Überleben ihrer Familien kämpfen, vorrangig in den Genuss der Förderung kommen sollten. Die Rückzahlungsmoral von Frauen ist weit besser und die Gefahr, dass das geliehene Geld für bloße Statussymbole verschleudert wird, weit geringer. Er lacht vergnügt vor sich hin, wenn er von den Widerständen gegen diese Vorgehensweise im eigenen Land berichtet. In Bangladesch ist – bisher zumindest – die Frau besonders in den armen Familien auf dem Land quasi ein Niemand gewesen, der nur dem Ehemann folgte. Sie hatte keine eigene Meinung und hat in vielen Fällen Geld noch nicht einmal selbst in den Händen gehabt. Nun erscheinen die Mitarbeiter der Grameen-Bank selbst in den abgelegendsten Landstrichen in diesen Dörfern und wollen die Frauen sprechen.

Üblicherweise kommen die Männer den Fremden entgegen und die Frauen halten sich bedeckt im Hintergrund. Aber diese merkwürdigen Grameen-Leute wollen die Männer gar nicht sprechen. Sie bieten stattdessen den Frauen Geld. Die Männer sind als Allererstes beleidigt, wie eine Bank dazu kommt, dem Niemand in ihrer Familie Geld zu bieten, und sie selbst als Haushaltsvorstand bekommen kein Geld angeboten. Am Meisten wettern natürlich die herkömmlichen Geldverleiher mit ihren Wucherzinsen dagegen. Aber auch das Vertrauen der Frauen muss stückweise errungen werden. Zunächst sind sie völlig perplex und verwundert. „Was ich ? Aber ich weiß doch nichts und kann doch nichts. Ich habe doch noch nie Geld in den Händen gehabt ?!“ „Wunderbar, genau dich suchen wir“, antworten dann die Mitarbeiter der Grameen-Bank und die Frauen hören verwundert zu.

Sie müssen sich, das ist eine feste Bedingung bei Grameen, in Gruppen zu fünft zusammentun, wenn sie schließlich einen Kredit in Anspruch nehmen möchten. Den Kredit bekommt zwar jede einzeln, aber durch diese Gruppensolidarität möchte Muhammad Yunus sicherstellen, dass keine Frau leichtfertig Kredite aufnimmt, die sie dann nicht zurückzahlen kann. Denn wenn beispielsweise eine Frau zu den anderen vieren sagt, sie möchte eine Ziege kaufen, dann fragen die Freundinnen als erstes, wem sie denn die Milch verkaufen werde. Gibt es Nachbarn, die einen echten Bedarf daran haben und die die Milch auch bezahlen können ?

Weder Yunus noch seine Mitarbeiter verteilen schlaue Ratschläge. Die Frauen sollen ganz nach ihren eigenen Ideen kreativ werden können. Es werden immer nur Fragen gestellt. Die härtesten Fragen kommen von den Frauen aus der eigenen Gruppe. Auf diese Weise ist keine Frau mit dieser, für sie völlig neuen Situation, alleine gelassen und die neuen Geschäftsideen werden wirklich auf ihre Praktikabilität hin überprüft und durchdacht. Als Nächstes muss sie oft den Widerstand ihres Mannes überwinden, der nicht nur beleidigt ist, sondern sich auch Sorgen macht. Er hat seine Frau in der Tradition des Landes als einen Niemand kennenlernt und nun befürchtet er, dass sie diese Aufgabe nicht bewältigen wird und dass schließlich die Bank zu ihm kommen und das Geld zurückfordern könnte. Und er hat es ja genausowenig wie seine Frau.

Muhammad Yunus sagt dazu: „Jeder Mensch hat ein unbegrenztes Potential. Der Bettler am Wegesrand hatte nur noch keine Chance, sein Potential zu demonstrieren. Weder sich selbst hat er es demonstriert, noch der Umwelt.“ Und so wissen auch die Männer aus Bangladesch noch nichts vom Potential ihrer Frauen. Yunus schmunzelt wieder voller Vergnügen, wenn er in seinem einfachen, aber prima verständlichen Englisch von solch einem typischen Ehemann berichtet: „Every week he is expecting big disaster, but it doesn’t come …“ (Jede Woche, wenn die Zinsen fällig werden, erwartet der Ehemann ein großes Disaster, aber dieses kommt nicht.) Wenn die Ehefrau schließlich ein ganzes Jahr lang jede Woche pünktlich ihre Raten zurückgezahlt hat, dann hat sich in diesem Jahr meist auch viel in der Familie und im ganzen Dorf geändert.

Letztlich lernen die Ehemänner durch diese Kredite ihre Frauen völlig neu kennen und entdecken bisher nie gekannte Seiten an ihnen. Aus dem Niemand ist ein Jemand geworden, der die Familie ernährt.

Das veränderte zunächst die Familien, dann das Dorfleben und beeinflusste schließlich die Politik im ganzen Lande. Denn Muhammad Yunus riet seinen Kundinnen immer wieder, bei Wahlen im Land mitzuwählen. Die Wahlbeteiligung war mit 53% ziemlich niedrig und es gingen auch doppelt soviele Männer wie Frauen wählen. Grameen wollte das ändern. Doch zunächst sträubten sich die Frauen. Die Politiker des Landes seien alle Teufel und es sei völlig sinnlos, wählen zu gehen, meinten sie. Dann sollten sie eben die kleinsten Teufel unter den Teufeln wählen gehen und nicht zulassen, dass die größten Teufel regieren, war die Antwort von Yunus. Anfang der 90iger Jahre gingen bereits eine große Zahl von Grameen-Kunden mit ihren Familien zum Wählen und es zeigten sich erste Änderungen im Wahlergebnis. 1996 nahmen die Grameen-Kundinnen, ermutigt durch dieses Resultat, auch ihre Nachbarn und sämtliche Verwandten zur Wahl mit und erstmals schrumpfte die Zahl der Sitze der konservativen Partei von 17 auf nur noch 3. Die Wahlbeteiligung 1996 betrugt statt der bisher üblichen 53% auf einmal 73%.

Neues Selbstvertrauen der Armen ändert die Landes-Politik
Einmal soweit gekommen, überlegten sich die Grameenbank-Mitglieder (Genossenschaftsprinzip): „Warum sollen wir eigentlich weiterhin nur die kleinsten Teufel wählen gehen ? Wir sind gute Leute und wir können doch auch selber kandidieren …“ Ein Jahr später, nämlich 1997, kandidierten 4000 arme Bangladeschis aus Grameen-Kunden-Familien (davon 50% Frauen und 50% Männer) bei den regionalen Wahlen. Eine Sensation für Bangladesch. Seit die Frauen mehr Selbstbewusstsein, mehr Verantwortungsgefühl und ein eigenes Einkommen haben, sinkt auch die Zahl der Geburten pro Frau erheblich und es wird auf einmal ernsthaft verhütet.

Stattdessen werden immer mehr Kinder in die Schule geschickt. Mittlerweile gehen schon 15.000 Grameen-Kinder auf die höhere Schule. Bei einer Analphabetenrate von bisher 90 Prozent ist auch das ein Riesenfortschritt. Und alles begann letztlich mit 27 Dollar Kredit an 42 Familien.

Handys für die Armen ?!
Aber damit ist der Kreativität von Grameen noch lange kein Ende gesetzt. Vor zwei Jahren gründeten sie eine eigene Telefongesellschaft, die Grameen Telecom, mit der Hilfe von Telenord, Norwegen. Bangladesch hat 127 Millionen Einwohner und bisher (das war auch im Jahr 2000) zirka 400.000 Telefone. Yunus hatte sich nun in den Kopf gesetzt, den ärmsten Frauen auf den entlegenen Dörfer Handys zu geben. Natürlich mal wieder – wie er berichtet – zum fassungslosen Entsetzen der Konservativen und Reichen des Landes. „Spinnst du jetzt ganz ?“, fragten diese ihn. „Was sollen denn die armen Frauen mit einem Handy ? Die können doch weder so ein Ding bedienen, noch die Tasten lesen und wen sollen sie denn überhaupt anrufen ?“

Muhammad Yunus kann nur schelmisch den Kopf schütteln über soviel unkreatives Gedankengut. Natürlich sollen seine Telefon-Ladys, wie sie inzwischen heißen, in der Regel gar niemanden anrufen. Sie eröffnen stattdessen ein neues Business mit einem regionalen Telefonservice. Sie vermieten das Handy an jeden, der sich durch einen Anruf weite Reisen oder langwierige Postwege ersparen möchte. Erstens wird die Kommunikation verbessert, was auch weitere Geschäftsmöglichkeiten eröffnet und die Entwicklung im ganzen Land beschleunigt. Außerdem kann aber auch schnellere Hilfe bei Disastern ermöglicht werden.

Bisher hat die Grameen-Telefongesellschaft 35.000 Mobiltelefone ausgegeben und 250 davon an die neuen Telefon-Ladys in entlegenen Dörfern. Bis zum Ende des Jahres 1999 sollen es 1000 Telefon-Ladys sein und in 5 Jahren 40.000. Damit will er der Entwicklung des Landes entscheidend auf die Sprünge helfen. In Bangladesch macht der Einsatz von Handys wirklichen Sinn, da es auf dem Land noch nicht einmal Strom, geschweige denn Telefonleitungen gibt. Und dort klemmt sich auch niemand das Mobiltelefon stundenlang ans Ohr, schon allein, weil es sich niemand leisten kann.

Grameen-Cybernet & Co.
Mit Hilfe dieser Telefone können auch die Informationen der neu gegründeten Grameen-Organisationen wie Grameen-Gesundheit, Grameen-Landwirtschaft, Grameen-Textil, Grameen-regenerative Energien, Grameen-Telefon, Grameen-Cybernet etc. schneller verbreitet und genutzt werden. Grameen-Cybernet beispielsweise ist ein Zweig, der solarbetriebene PCs mit Internetzugang auf den Dörfern installieren soll. Dadurch sollen die Menschen Zugang zu den aktuellen Informationen der ganzen Welt erhalten (da es ja sehr wenig Schulen und Weiterbildungsmöglichkeiten im eigenen Land gibt), eine weitere starke Motivation zum Schreiben- und Lesenlernen bekommen und auch ihre Dienste weltweit anbieten können.

Einfache Telefonbeantwortungsdienste könne beispielsweise durchaus auch vom „Heuschober“ auf dem Land aus erledigt werden. Zudem gibt es 0,5 Millionen leerstehende Webstühle im Land. Auch solche Arbeiten könnten international angeboten werden. Dadurch kämen mehr Devisen ins Land.

Kritische Fragen an Grameen
Wie schon erwähnt, zahlen 98 Prozent der Kundinnen überpünktlich ihre Kredite vollständig zurück. Keine Geschäftsbank der Welt kommt da mit. Deren Kunden mit dem viel höheren Lebensstandard zahlen ihre Kredite weder pünktlich und oftmals gar nicht zurück. Bei der Konferenz im Stuttgarter Rathaus wurden kritische Fragen dazu gestellt. Man traute diesen „fast zu gut klingenden“ Ausführungen nicht ganz und es wurde mit unheilschwangerer Stimme gefragt, was denn sei, wenn eine Frau ihren Kredit nicht zurückzahlen könne, weil beispielsweise die Ziege sterben würde. Dann würde diese völlig hilflose Familie auch noch in einen unbezwingbaren Schuldenberg gestürzt.

Ganz klar, der Fragende dachte in den Maßstäben unseres Bankensystems. Bei Grameen scheint auch das wirklich ganz anders zu sein. Yunus antwortete frisch und frei: „Ach, wissen Sie, die Ziegen sterben eigentlich selten. Das, was noch am Häufigsten vorkommt, ist, dass die Ehemänner das Geld klauen und damit abhauen. Dann bekommt die Frau eben einen neuen Kredit und der Alte wird als Langzeitkredit ohne weiteren Zinsanfall stillgelegt. Die Frau entscheidet selbst, wann sie den ersten Kredit zurückzahlen kann oder wie hoch die Raten sind, die sie eventuell zusätzlich zum aktiven Kredit zurückzahlen kann. Wir als Grameen-Bank sehen unsere Hauptaufgabe nicht darin, den höchstmöglichen Gewinn zu erzielen, sondern darin, unseren Kunden auf die Beine zu helfen.“

„Wem gehört die Bank denn ?“ fragt der nächste kritische Zuhörer, ebenfalls mit bedrohlicher Stimme. Es hörte sich an, als würde er nun erwarten, einen Beweis zu bekommen, dass in Wahrheit eben doch nur Yunus die Sahne abschöpft, wo es geht und nur „so rosig tut“. Aber auch da wird er enttäuscht. Die Besitzverhältnisse sind so geregelt, daß die Bank komplett den Kunden gehört. Die Zinsen bei Grameen sind gestaffelt. Wer einen Kredit für seine Bildung oder die seiner Kinder braucht, zahlt nur 5%. Kredite für Häuser kosten 8% und die üblichen Jahreskredite 20% (sie werden in wöchentlichen Raten zurückbezahlt und sind nach einem Jahr abbezahlt). Bei 98% Rückzahlungsquote steht diese Kleinstkredit-Bank weit besser da, als man es ihr spontan zutrauen würde.

Ein Beispiel: 1998 wurde Bangladesch nicht zum ersten Mal von einer Flutkatastrophe heimgesucht. Die Hälfte des Landes war überflutet und die Leute flüchteten auf die Dächer ihrer Häuser. Die Zeitung Financial Times schrieb dazu „Grameen washed away“ (Grameen weggewaschen). Der Verfasser des Artikels war sich sicher, dass Grameen diese Katastrophe nicht überstehen werde. Muhammad Yunus findet diese Denkungsweise sehr bedauerlich und nicht sehr hilfreich. Auch bei Flut betrage seine Rückzahlungsquote immer noch über 80%, während die der lokalen Industriebank generell nicht mehr als 10% betrage.
Dies sei auch keineswegs die erste Flutkatastrohphe, die das Land zu überstehen gehabt habe und man sei darauf vorbereitet. Im Übrigen gehören Problemlösungen zum Alltag der Grameenbank. (in Deutschland hat es sich mancherorts eingeschlichen, dass man lieber nur von Problemen redet, anstatt die Lösungen einfach anzugehen, daher vermuten wir das Gleiche bei anderen). Es gibt in ganz Bangladesch 1138 Zweigstellen mit jeweils zirka 10 Mitarbeitern pro Filiale. Die Meisten sind Außendienst-Mitarbeiter, die die Kredite zur Landbevölkerung in zirka 39.000 Dörfer bringen. Insgesamt hat Grameen 12.000 Angestellte in Bangladesch. Wenn nun Desaster, wie Yunus es nennt, jeglicher Art auftreten, dann geben die betreffenden Filialen eine „Desaster-Meldung“ an die Haupthäuser und stellen sofort jeglichen Bankbetrieb ein.

Die Aufgabe der Bankmitarbeiter ist in solchen Fällen per sofort, sich um die Menschen zu kümmern und bei der Versorgung mit Lebensmitteln oder der Unterbringung zu helfen. Wenn beispielsweise Lebensmittel gekauft werden müssen, dann werden diese ganz selbstverständlich mit dem Geld der Bank gekauft. Alle laufenden Kredite werden gestoppt und die betreffende Filiale fängt am Ende des Desasters von vorne mit neuen Krediten an und hilft den Leuten, wieder auf die Beine zu kommen. Yunus sieht die Sache klar: Wenn die Leute nicht wieder auf die Beine kommen, gibt es in der Region auch keinen Bankbetrieb mehr. Das wäre Unsinn. Es kann daher nur die Aufgabe seiner Bank sein, die Leute dabei zu unterstützen – und nicht nur finanziell – wieder Mut zu fassen und neu anzufangen. Und auch wenn dies die größte Flutkatastrophe ist, die Bangladesch je hatte, dann wird die Grameen-Bank auch diese überstehen. Die Fluten selbst verhindern könnte leider nur das Nachbarland, durch dessen Wasserversorgungssystem die Fluten verursacht werden. Aber das ist ein anderes Thema.


Neue Formen der Entwicklungshilfe
Öffentliche Studien zeigen, dass durch die Hilfe der Grameen-Bank 10 Prozent der Bangladeschis eine reelle neue Chance auf ein neues Leben erhalten haben. Ein Drittel davon hat sich inzwischen als selbständige Kleinunternehmer etabliert und ist aus der völligen Verelendung herausgekommen. Die Hilfe zur Selbsthilfe hat voll gegriffen. Meist beträgt die erste Kreditsumme nicht mehr als 30 Dollar. Damit wird dann z.B. eine Ziege erworben und die Milch verkauft. Die Kredite müssen in kleinen Raten jede Woche zurückbezahlt werden.

Wenn der erste Kredit zurückgezahlt ist, folgt meist der nächstgrößere, vielleicht für ein paar mehr Ziegen. Oft werden im Laufe der Jahre bis zu 10-15 Kredite genommen. Und sobald es geht, wird sogar ein ganzer Hauskredit aufgenommen. Hauskredite bietet Grameen seit 1984 an und entgegen aller Unkenrufe zahlen die armen Kunden der Grameen-Bank diese Hauskredite ebenfalls komplett zurück. Ganz im Gegensatz zu den wesentlich reicheren Kunden der normalen Banken. Die normalen Banken in Bangladesch gehören der Regierung und die Kredite werden oft nicht zurückbezahlt, wenn der Kunde sich dafür verpflichtet, „die richtige Partei“ zu wählen. Yunus geht in seinem Buch auch ausführlich auf das Problem der Entwicklungshilfe ein.

Denn obwohl Bangladesch seit seiner Unabhängigkeit 1971 schon 30 Milliarden Dollar Auslandshilfe zugeflossen sind, haben diese 30 Milliarden weit weniger bewirkt als die 2,3 Milliarden Kleinstkredite der Grameen-Bank. Das Problem der internationalen Entwicklungshilfe liegt, sehr kurz gefasst, darin, dass das Geld zwei Korruptionsebenen zu überstehen hat – im Geber- und im Empfängerland. In diesen verschwindet der größte Teil des Geldes. Mit dem kläglichen Rest werden dann Brücken und Straßen gebaut und die Aufträge werden an die Unternehmer vergeben, die die meisten Bestechungsgelder zahlen. Oder die reichen Bürger bauen sich Häuser und wählen „als Gegenleistung“ die richtige Partei. Bei den Ärmsten der Armen kommt von der internationalen Entwicklungshilfe daher oft gar nichts an.

Yunus und seine Freunde begegnen dem mit dem 1989 gegründeten Grameen-Trust, der sich ebenfalls um Entwicklungshilfegelder bewirbt. Diese Gelder, entweder aus Entwicklungshilfe oder zumeist noch aus Spenden stammend, werden weltweit an Projekte verteilt, die ähnlich der Grameen-Bank in Bangladesch arbeiten und bei denen die Gelder wirklich und effektiv den Bedürftigen zufließen. Auch aus eigener Kraft und nach einer Ausbildungsphase bei Grameen Bangladesch sind in anderen Ländern ähnliche Projekte entstanden. Mittlerweile gibt es Kleinstkreditbanken in 58 Ländern und 12 Millionen arme Menschen konnten bisher davon profitieren. Übrig sind allerdings weltweit nach Schätzungen der Weltbank noch etwa 2,5 Milliarden völlig verarmte Menschen. Es gibt also noch genug zu tun für jeden, der beispielsweise in einem von 50.000 bestehenden privaten Hilfsprojekten mithelfen möchte.

http://www.grameen-info.org/


Ein Erfolgsbeispiel:
Monsura Begum war bettelarm, als sie ihren ersten Kredit bekam. Ihr Mann hatte sie verlassen, als sie schwanger wurde und so ist sie außerdem alleinerziehend. Den ersten Kredit nutzte sie, um mit Öl, Seife und Lebensmitteln zu handeln. Den Erlös daraus sparte sie über drei Jahre hinweg. Mit der zusätzlichen Hilfe weiterer Kredite kaufte sie sich nach diesen drei Jahren eine Nähmaschine. Nähen hatte sie bei der Mission gelernt. Nun hat sie sich damit selbständig gemacht und näht für den ganzen Ort, für den Markt und für Kleiderfabriken. Teilweise, für sehr arme Leute im Ort, auch kostenlos. Mit dem 7. Kredit erwarb sie 1997 ein eigenes Haus und spart jetzt für die Ausbildung und ein Grundstück für ihren mittlerweile 8 Jahre alten Sohn. Durch eine Art Sozialverfassung der Grameen-Bank, die aus 16 Punkten besteht, hat sich außerdem das ganze Leben von Monsura Begum positiv verändert. Grameen-Kunden lernen bei Trainings zu diesen 16 Punkten vorwiegend Dinge des täglichen Lebens: wie man Gemüse anbaut und warum man nicht ausschließlich von Reis leben sollte, wie man sich eine Toilette baut, dass Wasser vor dem Trinken abgekocht werden soll, wie man einen Brunnen baut etc. pp. Aber auch, wie man ein Geschäft aufbaut, wie man in Gruppen zusammenarbeitet und sich gegenseitig unterstützt, wird dort gelehrt. Jede Analphabetin lernt außerdem zumindest, eines zu schreiben, nämlich ihren Namen. Damit sie im Geschäftsleben selbst unterschreiben kann. Ganz nebenbei gibt dies alles den Kundinnen aber auch einen immensen Stolz. Auf die Frage, ob sie das Geld nicht lieber geschenkt haben möchte, antwortet Monsura: „Nein, ich bin keine Bettlerin !“ Nancy Wimmer, 1997

Nachdem ich nach zwei Interviews in Deutschland mit Professor Yunus diesen Artikel geschrieben hatte, bin ich mit einem Kameramann direkt zu ihm nach Bangladesh geflogen und habe eine Video-Dokumentation über ihn gedreht.
Es gäbe noch unendlich viel anzuhängen darüber, was wir dort erlebt haben. Das Bankgebäude (das Haupthaus der Grameenbank) ist überwiegend möbliert wie bei uns allenfalls ein Flüchtlingslager. Und trotzdem sind alle ungeheuer stolz darauf.
In den Dörfern haben die Menschen uns mit ebenfalls stolzgeschwellter Brust ihre Bankfilialen vorgeführt: So etwas haben wir auch in Deutschland, aber bei uns heißt es Fahrradschuppen.
Es gab auch einige größere Filialen mit richtigen Tischen und Stühlen und mit Fenstern, aber das war die Ausnahme.


In den Dörfern umherzuspazieren und die fragen, wer schon mal einen Grameenkredit genommen hat, war auch äußerst spannend. Da gab es Frauen, die ihren ersten Kredit nahmen, als sie weder Schuhe, noch Wohnung noch sonst etwas hatten. Sie haben sich nachts in Erdkuhlen mit Zeitungen zugedeckt.
Mittels mehrerer Kredite haben sie nun Arbeit, ein Haus, Schulen gegründet und vieles mehr. In einer Schule haben die Kinder extra für uns gesungen. Es war auch so ein Fahrradschuppen. Aber alle Kinder konnten schreiben und die Grundrechenarten.

Wir haben auch ein paar Ehemänner gefragt, was sie denn nun davon halten. Klar, an uns herangetraut haben sich eh nur die Innovativeren unter ihnen. Sie meinten, vor 25 Jahren sei es schwierig gewesen. Aber nun wissen man ja schon, welche positiven Auswirkungen es auf die ganze Familie habe, wenn die Frau einen Kredit bekommt (95% der Kreditnehmer sind Frauen) und deshalb wird es nun als Ehre angesehen und auch als Erleichterung für die ganze Familie.

In Deutschland kann man das Ergebnis unserer Dokumentation noch auf dem Video „Herzenswünsche selbst erfüllen“ beim Verlag Silberschnur bestellen und ansehen. Nähere Beschreibung zum gesamten Video siehe unter „Alle Bücher“ auf meiner Website.

www.grameen-info.org

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Muhammad Yunus ist ein sehr natürlicher und fröhlicher Mensch.

Eindrücke von Land- und Stadtleben in Bangladesh. Alle Fotos Bärbel Mohr

(außer dem, auf dem Bärbel drauf ist, das hat Roland Rocke gemacht). 

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