Für das Engelmagazin 2/2014: Weiterleben ohne dich
Wie geht man mit dem Verlust eines geliebten Menschen um? Es gibt wohl kaum ein Ereignis im Leben eines Menschen, dass uns mehr an die Grenzen und die Endlichkeit unseres Erdenlebens stoßen lässt. Und doch, es wartet auf jeden von uns. Der Tod ist untrennbarer Teil unseres Daseins. Früher oder später versterben unsere Großeltern, Eltern, Freunde, und manchmal auch der Partner, mit dem wir ein Leben lang verbunden waren.
Für mich war es zunächst undenkbar, über meine Erfahrungen mit dem Tod von Bärbel zu schreiben. Natürlich, es war mir einfach zu nah. Mir war schon gleich nach dem Sterben meiner Partnerin bewusst, oh weh, das würde lange dauern, bis ich durch diesen Prozess durch sein würde. Also war ein Buch darüber in weiter Ferne. Es hat nun drei Jahre gedauert, bis ich mich dazu traute. Viele reden ja vom Trauerjahr, und da ist sicherlich etwas dran. Für mich, es sind drei Trauerjahre geworden.
Es brauchte dann aber einen besonderen Anlass, um die Idee eines Buches in die Welt zu bringen. Ein Verlag klopfte bei mir an, und dann ging alles ganz schnell. Kaum vorher habe ich ein Buch einfach so herunter geschrieben. Es war, als wäre der Impuls von außen so etwas wie der Kristallisationskeim geworden, um den herum ich nun in kürzester Zeit alles gruppierte, ohne dass ich viel dazu tun musste. Alles, was benötigt wurde, es war schon da. So wie Michelangelo einmal sagte, die Skulptur sein einfach zu behauen gewesen, er habe nur den überflüssigen Stein beseitigen müssen. Alles ging so leicht und stimmig, es musste einfach richtig sein, darüber zu schreiben.
Es ist meine Geschichte geworden, wie ich mit dem Tod von Bärbel umgegangen bin. Viele Seminarteilnehmer hatten mich in den Jahren danach darauf angesprochen, und ich hatte Stückchenweise meine immer neue und sich wandelnde Sicht der Dinge im kleinen Kreis geäußert. „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,“ so dichtete Rilke einmal so treffend, und durch diese Ringe, diese sich verändernden Sichtweisen der Tatsache des Verlustes, ging auch ich hindurch. Bis ich heute zu einem sicher vorläufigen Ende gefunden habe. Der Prozess der Verarbeitung geht sicher weiter, und der Punkt, den ich mit diesem Buch nun mache, ist vielleicht eher ein Komma, ein Semikolon. Das ist mir sehr bewusst. Und doch hoffe ich, vielen Menschen, denen es ähnlich ergeht wie mir in dieser Zeit, mit diesen Zeilen Mut und Zuversicht schenken zu dürfen. Es gibt ein Weiterleben nach dem Tod. Ganz bestimmt, zumindest für die zurück Gebliebenen.
Eben erst trete ich mit meinen Kindern in eine ganz neue Phase der Verarbeitung des Geschehenen. Meine Tochter ist nun 12 geworden und wird sich bewusster darüber, was das Sterben bedeutet. Die Mama ist nicht mehr da, und auch der Papa ist doch offenbar sterblich. Es wird nun zum Thema, was wäre, wenn auch der Vater einmal nicht mehr da sein könnte. Einige Male habe ich in der Vergangenheit darüber mit alleinerziehenden Eltern sprechen dürfen, die auch den Partner verloren haben. Auch sie berichteten davon, dass die Kinder zum überlebenden Elternteil eine besonders enge Beziehung knüpfen. Für meine Kinder bin ich nun Papa und Mama, wie mein Sohn es einmal kurz auf den Punkt brachte.
So versuche ich, so oft wie möglich gemeinsam mit meinen Kindern auf Reisen zu gehen. Und möglichst viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Jeder, der Kinder hat, kennt die kurze Spanne an Zeit, die Eltern mit ihrem Nachwuchs verbringen dürfen. Sie ist so kostbar, dass dahinter die anderen Dinge zurückstehen können. Die Kinder möchten in der Jugend Wurzeln von den Erziehenden bekommen, wie Khalil Gibran sagt, damit sie ein starker Baum werden, der später dem Wind des Lebens standhalten kann. Dann, wenn sie älter sind, sollten wir ihnen als Eltern dann Flügel schenken. Und bereit sein, sie ihren Weg gehen zu lassen.
Mein eigener Weg war vor drei Jahren gesäumt vom Verlust meiner Partnerin. Viele stellten mir danach die Frage, wie konnte dies Bärbel passieren? Natürlich haderte auch ich lange mit meinem Schicksal, und habe Antworten gesucht und gefunden, die schließlich aber auch nur Durchgangstationen waren, zu meiner jetzigen Sichtweise. Heute, ich würde einfach sagen: Bärbel war ein Mensch. So wie du und ich. Menschen werden geboren, und Menschen sterben. Leben und Tod hängen untrennbar zusammen. Wer den Tod verstehen möchte, der fragt auch nach dem Leben. Das Leben fragt aber nicht. Das Leben ist einfach. Es geschieht.
So möchte ich meinen heutigen Zustand einfach damit beschreiben, dass ich mich mit dem Verlust meiner Lebensgefährtin ausgesöhnt habe. Ich habe es als Teil meines Schicksals angenommen, und auch als das meiner Kinder. Langezeit habe ich dagegen gekämpft, wollte es verstehen. Heute habe ich meinen Frieden damit gefunden. Vielleicht war das Wichtigste bei diesem inneren Prozess, einfach damit aufzuhören, Fragen zu stellen.
Einstein hat einmal gesagt, „falls Gott die Welt geschaffen hat, war seine Hauptsorge dabei sicher nicht, sie so zu machen, dass wir sie verstehen können.“ Manchmal scheint es mir, als würde ich mir mit meinem dauernden Kopfzerbrechen immer nur selbst im Weg stehen. Wenn ich immer nur in meinem Verstand unterwegs bin, dann hindert mich dies daran, einfach zu sein. Wenn ich einfach bin, und nur fühle, dann komme ich bei mir an. Denke ich stattdessen zu viel, dann kreise ich wie ein Flugzeug in der Warteschleife ewig um den Flugplatz, ohne jemals wirklich anzukommen. Dann vergesse ich manchmal, dass es darum geht, auch mal zu landen.
Vielleicht geht es im Leben gar nicht um Bewertungen und Kategorien von gut oder schlecht. Das Leben kümmert sich nicht darum. Das Leben ist einfach. Der von mir sehr verehrte persische Dichter Rumi sagte darum einmal: „Jenseits von falsch und richtig liegt ein Garten. Dort werden wir uns treffen.“ Für mich, dieser Garten liegt in uns selbst. Wir finden ihn, wenn wir im besten Sinne wagen, „den Verstand zu verlieren.“ Viele spirituelle Schulen sind darum der Meinung, der Weg zum Glück und zur Erkenntnis ist nur 30 cm lang: vom Kopf in unser Herz.
Heute ist es für mich weniger wichtig, zu fragen: „Warum ist das passiert, warum ist meine Frau gestorben?“ Denn offenbar, es ist geschehen. Es ist, wie es ist. Und damit, Teil von meinem Weg, Teil von meinem Leben. Wenn ich heute zurückblicke, dann kann ich dankbar sein, für die vielen schönen gemeinsamen Jahre mit meiner Frau, für eine bereichernde, aufregende Gemeinschaft mit ihr. All das, es war nur möglich, auf genau diesem Weg. So wie jeder Mensch ein Gesamtkunstwerk ist, mit Stärken und Schwächen, mit Fertigkeiten und Fehlern, so ist auch das Leben voller Auf und Abs. Das ist so, der Mensch, das Leben, sie werden genauso geliefert. In genau dieser Form, mit dem Licht, und dem Schatten.
Der Garten, von dem Rumi spricht, liegt in dem, was wir als Schöpfung, Vollkommenheit oder Gott bezeichnen können. Bärbel nannte es das Universum. Egal, welchen Namen wir ihm geben möchten, irgendwann, auf der Suche nach dem Sinn, hier klopfen wir an.