Artikel für das Magazin Vita „Was bedeutet Freiheit für mich?“
Interview mit dem Magazin Vita, Heft 22 / 2015
Lieber Herr Mohr, was bedeutet es für Sie persönlich, frei zu sein?
Auch wenn dies auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, um wirklich frei sein zu können, braucht es aus meiner Perspektive auch ein gewisses Maß an Ordnung in meinem Leben. Freiheit und Ordnung bedingen sich einander, jedenfalls für mich. Um ein Beispiel zu geben, wenn ich mir die Freiheit nehme, meine Unterlagen für die Steuer ohne klare Ordnung und System irgendwo verteilt im Haus herumliegen zu lassen, dann geht spätestens beim Termin zur Abgabe dieser Erklärung die große Sucherei los. Die so erzielte kurzfristige Freiheit muss somit teuer durch diese hektische Plackerei wieder ausgeglichen werden. Jede kleine Schlamperei führt eine ungleich viel größere Sucherei nach sich.
Gebe ich meiner Ablage der Steuerunterlagen aber sofort ein klares System, und ordne ich meine Unterlagen vielleicht sogar schon monatlich vor, dann ist dieser Termin kein wirkliches Problem mehr.
Freiheit braucht darum aus meiner Sicht eine sie gewährende Ordnung, innerhalb der diese Freiheit sozusagen geschützt ist. Erst dann kann sie sich wirklich frei entfalten. Man kann dies sehr schön auf den Staat bezogen erkennen, wo wir in unserem Land durch Organe wie Polizei oder Bürokratie erst den Schutz genießen, der uns unsere persönliche Freiheit ermöglicht. Auf der persönlichen Ebene kann ich mir diese Ordnung durch selbstauferlegte Strukturen geben, wie an der Steuererklärung eben geschildert.
Oder ein zweites Beispiel: Nehme ich mir die Freiheit, meinen Autoschlüssel jedes Mal woanders abzulegen, wenn ich nach Hause komme, werde ich feststellen, beim Verlassen des Hauses oftmals lange suchen zu müssen. Denn mir fehlt der feste Platz, wo ich meinen Schlüssel immer ablege. Hier gehört er hin, und das gibt mir paradoxerweise dann Freiheit, da ich keine Zeit vergeude mit dem Suchen.
Wie interpretieren Sie das Zitat des deutschen Philosophen Immanuel Kant: „Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt“?
Nehmen wir an, ich teile mir das Auto mit meiner Frau. Dann wird es noch wichtiger, den Autoschlüssel an einer fest bestimmten Stelle des Hauses aufzubewahren. Nimmt meine Frau sich die Freiheit, den Schlüssel immer woanders abzulegen, dann suche ich ihn gewiss sehr häufig (Meine Gattin übrigens auch). Meine Freiheit, über das Auto und meine Zeit ganz unabhängig zu verfügen, wird also durch das Verhalten meiner Frau deutlich eingeschränkt. Was für eine einzelne Person zum Thema Freiheit und Ordnung oben gesagt wurde, gilt also noch mehr für ein System von mehreren oder gar sehr vielen Personen. Es braucht in Gemeinschaften klare Regeln und Strukturen, die für alle eindeutig sind.
Das Chaos fern jeder Ordnung ist scheinbar der Zustand maximaler Freiheit, könnte man denken. Diese Annahme hält aber offenbar einer näheren Prüfung nicht stand.
Sollte man, um frei leben zu können und von nichts abhängig zu sein, materielle Dinge auf das Notwendigste reduzieren?
Es ist sicherlich für meine eigene Freiheit extrem hinderlich, die Dinge meines Lebens wie gesagt nur unzureichend zu ordnen. Dazu gehört auch, mich von denjenigen Dingen auch zu trennen, die nicht mehr zu mir gehören, beispielsweise beim Frühjahrsputz oder bei einem Umzug. Lange Zeit habe ich mich dem Zen-Buddhismus verschrieben und meine Wohnung sehr spartanisch und leer gehalten. Dieser Lebensphilosophie fühle ich mich auch heute noch sehr verbunden. Lieber werfe ich mal eine Sache mehr weg, oder verschenke sie, als sie noch länger zu behalten.
Was bedeutet es, innerlich frei zu sein?
Zu dieser Frage würde es sich lohnen, gleich ein ganzes Buch zu schreiben. Kurz gesagt macht vor allem die Kultivierung von Liebe innerlich frei. Liebe kann mich genau dort befreien, wo meine Ablehnungen mich vorher noch binden und fixieren wollten. Innere Unfreiheit bedeute für mich, ohne wirkliche Wahl zu sein, wie ich mich innerlich fühlen möchte. Und am meisten blockieren mich in dieser Freiheit Hass, Ablehnung und fixierte Vorstellungen. Darum also ist der Weg der Liebe so erstrebenswert- sie macht mich frei!