Artikel für das Engelmagazin: Was du deinen Kindern gibst, gibst du dir selbst
Was du deinen Kindern gibst, du gibst es dir selbst
Von Manfred Mohr
Seit mehr als fünf Jahren bin ich nun alleinerziehender Vater meinen beiden halbwüchsigen Zwillinge. Gerade sind sie 14 geworden. Kinder sind für uns alle, die wir Eltern sind, etwas unendlich Wunderbares. Denn in ihnen wird etwas von mir weiterleben, das noch da sein wird, wenn ich schon nicht mehr auf dieser Erde verweile.
Darum möchte ich selbstverständlich den beiden alles mitgeben, was ich nur kann, damit sie es gut haben in ihren späteren Leben. Dies ist aber sehr viel mehr als etwa das Wissen, wie es heute in der Schule vermittelt wird. Sie schauen mir ab, wie ich lebe. Wie ich mit Problemen umgehe. Wie ich über Menschen spreche. Was ich in meinem Alltag tue. Welche Freunde ich habe. Wie ich mit mir selber umgehe, was Essen, Pflege oder Arbeitsbelastung angeht. Bei all diesen ganz alltäglichen Themen schauen sie mich an. Gar nicht so wenige Jahre sind sie in meinem Schlepptau und folgen mir, so wie Küken ihrer Entenmama. Eine kleine Ewigkeit folgen sie meinen Fußabdrücken, bis sie ihren eigenen Weg zu finden gelernt haben.
Als Elternteil sind wir immer Vorbild. Ob wir es nun wollen, oder nicht. Jemand sagte mir einmal, die ganze Diskussion um richtige Erziehung sei doch überflüssig, die Kinder leben dir doch sowieso immer nach, was du ihnen vorlebst. Da ist sicher viel Wahres daran. Also, was lebe ich meinen Kindern vor?
Diese Frage stellt sich mir besonders seit einer Reise nach Ägypten, die meine Zwillinge und ich gemeinsam mit einer kleinen Reisegruppe engster Freunde machen durften. Allen in Gruppe fiel auf, wie gut die beiden es schafften, sich zu integrieren, wie offen sie an Gesprächen teilnahmen und wie gut sie die Anstrengungen der Reise wegsteckten. Brav machten sie alles mit, ohne großes Gemurre. Und das trotz beginnender Pubertät.
Beim gemeinsamen Abendessen kam dann auch einmal zur Sprache, wie ich es eigentlich anstelle, ganz allein die Kinder zu solch netten Wesen zu erziehen. Ehrlich gesagt frage ich mich das selbst. Denn ich würde sogar sagen, weitestgehend tue ich schlicht und ergreifend gar nichts. Das meine ich durchaus ernst. Sicher, ich bin da, spüre in mich hinein, was ich tun oder sagen könnte, helfe ihnen bei den Hausaufgaben, fahre sie zu ihren Terminen, kaufe mit ihnen Kleidung und so weiter. Aber grundsätzlich lasse ich meine Kinder sich frei entfalten. Ich versuche, das Gute in ihnen wachsen zu lassen und trete darum so oft wie möglich auch beiseite. Ich mache ihnen Platz, gebe ihnen Raum für das, was sich in ihnen zeigen möchte. Denn, und da bin ich mir sicher: Meine Kinder sind Geschenke. Alle Kinder sind das. Sie sind meine wichtigste Lieferung des Universums.
Unsere Kinder sind wie ein Samenkorn, das der Himmel uns geschenkt hat. Es wurde in meinen Garten gepflanzt, und alles, was ich tun muss, ist, es zu betreuen. Ein wenig Humus, ein wenig Wasser, mit dem ich es gieße. Und es wächst. Erste Triebe zeigen sich, erste Blätter und Blüten. Welche Blume, welches Wesen meine Kinder aber werden möchten, wie kann ich das wissen? Sie sollen beide so frei wie möglich wachsen, wohin auch immer ihr Wesen es will. Alles, was ich tue, ist, sie nur ganz wenig zu beschneiden und einzugrenzen. Und das auch nur dort, wo es mir wirklich wichtig erscheint.
Ich bin grundsätzlich überzeugt davon, dass meine Kinder, so wie alle Kinder, grundsätzlich gut und richtig sind, genau so, wie sie sind. Ich könnte sie nicht besser machen. In ihnen ist so viel Gutes, dass ich selbst manchmal sprachlos davorstehe und staune.
Es wäre meiner Meinung nach ein großer Irrtum, wenn ich bei ihnen allzu viel eingreifen und etwas „noch besser“ machen wollte. Der Himmel hat sich ganz gewiss seine Gedanken bei ihrer Schöpfung gemacht, da brauche ich mein Scherflein nicht mehr beizusteuern. Notwendig sind von meiner Seite allenfalls kleine Hinweise, aber ganz bestimmt keine chirurgischen Eingriffe mehr.
In einem größeren Rahmen betrachtet, setze ich durchaus auch feste Regeln. Hausaufgaben sind zu machen, das Zimmer hin und wieder aufzuräumen. Meine Kinder entscheiden aber meist, wann sie dies tun wollen. Auch wenn es dazu hin und wieder einmal intensive Verhandlungen und Argumentationen braucht. In manchen grundsätzlicheren Fragen finde ich mich auch streng. Aber vor allem gebe ich mir Mühe, ihnen die Freiheit zu lassen.
Das Gute im Kind zu sehen und zu verstärken ist ja auch das Grundprinzip von Maria Montessori, nach deren Pädagogik meine Kinder von Anfang an unterrichtet wurden: Das Gute sehen, damit das Gute auch wachsen kann. Und dafür braucht es Raum. Zu strenge Regeln würden die Kinder nur beengen. Es wäre sicher hinderlich für ihre Entwicklung, wenn sie zu oft „Nein“ von mir hören würden. Stattdessen braucht es häufiger ein förderliches „Ja, du darfst“. Und beides darf sich dann auf dem von Buddha gelehrten mittleren Weg ergänzen, etwa in der Art: Auf jedes Nein gegenüber einem Kind sollte dann dreimal ein Ja erfolgen.
Das meine ich, wenn ich sage, dass ich im Umgang mit meinen Kindern lerne, beiseite zu treten. Dort, wo es nötig erscheint, bin ich zur Stelle. Ich verbringe möglichst viel Zeit mit ihnen, was in den nächsten Jahren wohl noch zu Lasten meiner Vorträge und Seminare gehen wird. Bis sie wirklich flügge sind, bleibt das Bücherschreiben meine Haupttätigkeit. Denn die gemeinsame Zeit mit meinen Kindern sehe ich als kostbar an. Ich finde, das ist es auch, was Kinder brauchen: den festen Rahmen und die liebevolle Hand.
Was später aus ihnen werden wird, steckt noch als Knospe in ihnen. Sie wird sich bald schon zeigen. Vielleicht wird mein Sohn später einmal Architekt, zurzeit allerdings laboriert er noch intensiv an der Idee, Computerspiele zu entwerfen. So wie vielleicht die meisten Jungs in diesem Alter. Meine Tochter hingegen hat die mädchentypische Phase, Tierärztin werden zu wollen, bereits hinter sich. Sie versucht sich im schulischen Praktikum nun an der ersten Alternative, dem Zeichnen. Schauen wir mal. Auf alle Fälle zeichnet sie schon fast so gut wie ihre Mutter.
Vielleicht noch ein Wort zu diesem Thema. Bärbel ist vor nunmehr fünf Jahren verstorben. Was meine Kinder angeht, bin ich sehr hoffnungsvoll, dass auch sie durch diese Zeit der Trauer reifen und wachsen durften. Kein Mensch, der Mutter oder Vater für ein Kind sein darf, wünscht sich natürlich den Tod des anderen Elternteils. Wenn dies dann aber doch geschieht, sind höhere Kräfte am Werk, die sich außerhalb unseres Verstehens befinden. Meine Kinder haben auf ihrem Weg sehr früh lernen müssen, mit Tod und Verlust umzugehen. Beides ist aus dem Leben eines jeden Menschen nicht wegzudenken. Früher oder später wird jeder sich mit diesen Themen auseinandersetzen müssen. Auch wenn ich es mir für meine Kinder und mich anders gewünscht hätte, so habe ich doch gelernt, den frühen Tod ihrer Mutter zu akzeptieren. Und ich bin dabei meinem Gott ein wenig näher gerückt.
Damals habe ich gelernt, dass die Kinder ganz genau hinschauten, wie ich auch mit dieser Situation umging. Sie gucken sie sich ab, wie eine Sachlage einzuschätzen ist. Darum ist der Versuch, Kinder in einer anderen Weise zu erziehen, als man selbst klar sichtbar selbst lebt, zum Scheitern verurteilt. „Das gute Vorbild ist die beste Predigt“, meinte darum auch Benjamin Franklin. Wie wahr!
Auch ich war natürlich geschockt vom Tod meiner Frau, machte aber rasch die Erfahrung, dass sie im Haus mit ihrer Energie noch sehr spürbar war, ganz besonders in den ersten Tagen nach ihrem Tod. Ich sprach auch mit den Kindern darüber, soweit ich spürte, dass sie es in ihrem Alter bereits verstehen konnten. Ihre Mutter war zwar körperlich verschwunden, aber dennoch war sie noch da. Als Energie, als liebevolle Anwesenheit.
Später sprach ich mit vielen Menschen, die Sterbende begleiten und von Ähnlichem berichten. Die Verbindung zum Verstorbenen ist in den ersten Tagen nach dem Tod sogar besonders stark. Eine Freundin von mir, die hellfühlig ist und die uns manchmal besucht, erzählte mir erst kürzlich, dass meine Kinder auch heute noch im Herzen sehr stark mit ihrer Mutter verbunden sind. Ihrem Eindruck nach ist ihre Verbindung sogar besonders innig. Sie meinte, dass entgegen landläufiger Meinung die Seele der Mutter sich entscheiden kann, das ganze Leben der Kinder eng zu begleiten, um sozusagen als eine Art Engel für sie da zu sein.
Mich unterstützt dieser Gedanke sehr, ist er doch so tröstlich. Vielleicht, so ist mein Wunsch, bleiben meine Kinder wirklich treu von ihrer Mutter begleitet und spüren sie als Schutzengel in ihren Herzen noch ihr Leben lang. Sicher sein darf ich mir aber, dass meine Zuversicht in dieser Sache sich auch hier auf meine Kinder überträgt. Warum sollte ich also anders denken?
Wir sind Vorbilder für unsere Kinder. Sie tragen in sich weiter, was wir ihnen schenken, an Aufmerksamkeit, Wohlwollen, Liebe und jedem Guten. Darum möchte ich sagen, was wir unseren Kindern schenken, wir geben es uns selbst. Was wir ihnen geben, wird auf dieser Welt weiterleben, und sich vervielfältigen, so wie ein Same, den wir in sie pflanzen. Sie sind der Teil, in dem wir als unsere Wesensart fortgestehen.
Manfred Mohr ist Autor und Seminarleiter. Der Text ist entnommen aus seinem neuen Buch „Danke für die Lieferung- wie das Universum uns immer wieder neu beschenkt.“