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Die hawaiianische Art zu vergeben
Von Manfred Mohr
In jedem Moment meines Lebens entscheide ich immer wieder neu darüber, ob ich die Menschen meiner näheren Umgebung wertschätze oder verurteile. Beides steht mir frei. Oft geschieht dies aus einem Automatismus heraus, bei dem ich eine bestimmte Person meiner Umwelt eher unbewusst in die eine oder andere Schublade stecke. Jeder hat doch bestimmte Vorlieben, und andererseits auch gewisse Abneigungen- das ist doch wohl auch sicher ganz normal. Oder etwa nicht?
Die bestimmte Weise, in der ich etwas in meinem Umfeld sehe und beobachte, hat aber einen weit größeren Einfluss auf meine Umwelt, als ich mir die meiste Zeit meines Lebens bewusst mache. Diese Erkenntnis hat auch bereits in die moderne Physik Einzug gehalten. Der Nobelpreisträger John Wheeler hat beschrieben, dass ein Experimentator allein durch die Beobachtung seines Versuchsaufbaus einen sehr wesentlichen Einfluss auf dessen Ausgang nimmt. Diesen „Versuchsleitereffekt“ könnte man in etwa damit umschreiben, dass ich genau das vorfinde, nachdem ich auch gesucht habe. Der Experimentator bestimmt somit durch den von ihm gewählten Versuchsaufbau sehr stark, was er nachher überhaupt entdecken kann. Seine Erwartungshaltung verhindert ein unvoreingenommenes Messergebnis.
Ganz allgemein möchte ich schlussfolgern:
Ich sehe und beobachte zumeist genau das, von dem ich ausgehe, und was ich erwarte.
Diese Erkenntnis ist so alt wie die Menschheit selbst. Der gar so unscheinbare Vorgang des Beobachtens meiner Welt hat in sich etwas sehr Weitreichendes und Gravierendes. Buddha etwa war dieser Zusammenhang bereits bestens bekannt. Er fasste ihn in die wohlbekannten Worte:
Das, was du heute denkst, wirst du morgen sein.
Und bereits noch viel früher, in den ältesten uns überlieferten Schriften des indischen Talmud, finden sich die Verse:
Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte.
Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen.
Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.
Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
Für unseren Kulturkreis wurde dieser Zusammenhang zwischen der inneren Welt unserer Gefühle und Gedanken und den äußeren Geschehnissen von den Mystikern unseres Mittelalters am besten beschrieben. Meister Ekkhard sagte darum:
Wie innen, so auch außen. Und wie im Äußeren, so auch im Inneren.
Im Alltag wird der Einfluss des „Beobachters“ landläufig als „self-fulfilling-prophecy“ bezeichnet, also als die sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn ich etwa andauernd in der Angst lebe, dass schon morgen ganz bestimmt in mein Haus eingebrochen wird, dann wird das eines Tages auch geschehen und ich werde verkünden:
„Das hab ich ja immer schon befürchtet!“ Wenn meine Gedanken und Befürchtungen nur stark und andauernd genug sind, dann werden sie schon irgendwann Realität.
Schauen wir uns doch einmal an einem konkreten Beispiel an, wie mein Grundlebensgefühl und meine Grundeinstellung dem Leben gegenüber auf meine Umgebung Einfluss nimmt. Mein Unterbewusstsein hört mir bei allem, was ich denke und sage, immer gut zu und verstärkt insofern, was ich selbst mir über mein Leben mitteile. Etwa: „Immer geschieht mir so etwas Dummes. Ich habe einfach kein Glück.“
In meinem Buch Fühle mit dem Herzen wird genauer erklärt, wie allein mit Worten sowohl Gewohnheit als auch Charakter geformt werden können. Menschen, die andauernd kundtun, wie schlecht es ihnen geht und wie übel das Leben ihnen mitspielt, haben darum eine große Wirkung, zum einen auf sich selbst, wie natürlich auch auf ihre Mitmenschen. Bob, der immer allen Freunden erzählt, wie schlecht es ihm geht, erhält mit der Zeit den Spitznamen „armer Bob“, wie ihn von dann an alle Freunde nur noch nennen. Oder: „Bob, der immer nur jammert.“ – „Bob, der immer Pech hat.“ Und alle Freunde erwarten auf diese Weise gemeinsam mit Bob, dass bald die nächste Katastrophe über ihn hereinbricht. Bob verstärkt durch seine Worte die negative Meinung über ihn. Und die ihn umgebenden Personen wirken dann auf ihn zurück. Dieser Effekt wird allgemein als Resonanzgesetz bezeichnet.
Wenn ich einen Menschen deshalb als „arm“ betrachte, so hat dies einen wirksamen Effekt auf ihn. Ebenso, wenn ich ihn als kaltherzig, gemein oder allgemein als meinen Feind bezeichne. Ein Teufelskreis, wie es scheint. Denn der andere Mensch wird meine Feindschaft spüren, und tatsächlich zum Feind werden.
Zu meinem größten Glück kann ich aber dieses Prinzip auch zum Guten einsetzen. Einen Menschen, mit dem ich im Streit liege, wird genauso spüren, wenn ich innerlich wieder zurück zum Frieden mit ihm gelange. Thomas von Kempen fasste dies in die Worte:
Schaffe zuerst Frieden in dir selbst. Dann kannst du ihn auch zu anderen bringen.
Ein einfaches Instrument, mit dem in den letzten Jahren sehr viele Menschen wieder zurück zu Ruhe und Ausgeglichenheit finden konnten, ist das hawaiianische Vergebungsritual Hooponopono. Ich habe die Freude, einer der Wegbereiter für diese Technik gewesen sein zu dürfen. „Hoo“ bedeutet „Etwas tun“ und „Pono“ heißt übersetzt „Frieden“. Wenn ich Hooponopono betreibe, tue ich darum etwas mit mir, um wieder in meine Harmonie zurück zu finden. Und dieser Frieden breitet sich dann auch in meiner Umwelt aus.
Die Hawaiianer sind sich klar darüber, dass jeder noch so kleine Streit und jedes Missverständnis früher oder später in einer handfesten Auseinandersetzung münden kann. Um dies zu verhindern, lautet ihr Wahlspruch schon von alters her:
Vor dem Abendrot sollst du Vergebung üben.
Nach dem Prinzip „Wie innen, so außen. Und wie außen, so innen“, kann ich den anderen Menschen meiner Familie nur als feindselig oder gemein ansehen, wenn ich innerlich mit mir selbst nicht im Reinen bin. Ich habe mich, aus Sicht der Hawaiianer, von meiner Göttlichkeit entfernt, ich habe sie einen Moment lang vergessen. Und nur damit ist zu erklären, dass ich sie darum auch im anderen nicht mehr entdecken und beobachten kann. Wie sonst könnte ich dem Irrtum anheimgefallen sein, der andere wäre böse?
Ein äußeres Problem spiegelt ursächlich mein inneres Problem.
Im klassischen Hooponpono suche ich deshalb die Hilfe eines Priesters, der meine wirren und unheilvollen Gedanken auf meiner inneren Festplatte „resettet“ und wieder zum Ursprung zurückführt. In Form eines Rituals gelingt es mir, meine vormals „kranken“ Gedanken loszulassen und dem anderen Menschen zu vergeben. Innerlich verbinde ich mich dabei mit meinem Gott, und bittet ihn um Heilung. Ich öffne mein Herz für jeden anderen, den ich als feindselig bewerte, und kann ihn danach wieder als meinen Freund in die Arme schließen.
Um diese wunderbare Methode auch im deutschsprachigen Raum etablieren zu können, haben ich daraus 2009 das sehr verwandte „Hoppen“ abgeleitet. Hierbei verbinde ich mich mit der Liebe in meinem Herzen, fühle sie und übergebe ihr mein Problem. Ich bitte meine Liebe, den Teil in mir zu heilen, der mit dem äußeren Problem korrespondiert. Und- wunderbarerweise – schon viele tausend Menschen haben Streit und Reibereinen auf diese Weise sehr einfach aus der Welt schaffen können. Und finden ganz nebenbei immer mehr zu Gelassenheit, Ruhe und Frieden in sich zurück.
Probleme- kleine wie große- lösen sich auf, wenn wir sie als unsere eigenen erkennen. Das, was ich da draußen beobachte, hat ursächlich mit mir selbst und meinem Blickwinkel zu tun. Was ich nämlich am liebsten immer wieder gern vergesse:
Ich selbst bin die einzige Person, die an allen Ereignissen meines Lebens beteiligt ist.
Hooponopono wie auch das Hoppen setzen genau hier an: wir kehren vor unserer eigenen Tür. Wir übernehmen die Verantwortung für unser Leben. Und können endlich damit aufhören, anderen Menschen die Schuld für unsere Probleme zuzuschieben. Um die Welt zu verändern, beginnen wir darum bei uns selbst. Schon Goethe war dieses Prinzip bestens bekannt:
Behandle alle Menschen so, als wären sie, was sie sein sollten, und du hilfst ihnen zu werden, was sie sein könnten.
Dieser Artikel enthält Auszüge aus dem neuen Buch von Manfred Mohr „In 30 Tagen Hoppen lernen- ein Kurs in (Selbst-)Vergebung“.