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Artikel für das Magazin Lebens(t)räume: Toleranz ist noch keine Liebe

Manchmal stelle ich in meinem Seminar zum Thema Selbstliebe eine kleine Frage: Wenn du das Wort „Liebe“ mit einem anderen Begriff erklären solltest, wie wäre deine Antwort? Dazu verwende ich dann eine Flipchart und schreibe alle genannten Erklärungen für Liebe auf, etwa: „Friede, Glück, Gemeinschaft, Vertrauen, Geborgenheit oder Verschmelzung.“ Im Laufe des Seminares stellt sich dann immer deutlicher heraus, die beste Erklärung für das Wort Liebe sind Akzeptanz und Annahme.

Wenn ich dich liebe, akzeptiere ich dich so, wie du bist. Ich nehme dich ganz an. Genauso stimmt diese Erklärung für Liebe, wenn ich sie auf mich selbst beziehe: Wenn ich mich liebe, dann nehme ich mich auch selbst so an, wie ich bin.

Der englische Dichter David Hume hat den Satz geprägt: „Die Schönheit der Dinge liegt in der Seele dessen, der sie betrachtet.“ Nur eine Seele, die sich selbst als schön empfindet, kann auch die Schönheit der äußeren Welt erkennen. Verkürzt formuliert, möchte ich sagen: „Nur die Schönheit kann die Schönheit sehen.“

Ein halb gefülltes Wasserglas, das von mir als halb leer tituliert wird, bedeutet somit: Ich betrachte auch mich selbst eher als mangelhaft denn als gut und richtig. Das, was ich wahrnehme, hat untrennbar mit mir selbst zu tun. Ich sehe das Außen, wie ich mich selbst sehe. Sehe ich Fehler im Außen, dann projiziere ich dabei nur mein eigenes Fehlerhafte auf die Welt.

Goethe sagte es mit den Worten: „Wär‘ nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt‘ es nie erblicken. Läg´ nicht in uns des Gottes eigne Kraft, wie könnt‘ uns Göttliches entzücken?“

Darum muss auch die Vorstellung, die ich mit Gott oder dem Universum verbinde, ihren Ursprung in mir haben. In unserer christlichen Kultur wird dieser Teil von mir als „göttlicher Funke“ bezeichnet. Gottes eigene Kraft, wie Goethe sagt, liegt versunken und versteckt auch in mir. Wenn ich sie diesen Funken entzünde, verändert sich damit auch meine Sichtweise auf diese Welt.

 

In einer unbewusst gesteuerten Weise sehe ich mich immer nur selbst.

 

Toleriere ich mich aber nur, statt mich ganz anzunehmen, dann blicke ich in den morgentlichen Spiegel nach dem Aufstehen und denke vielleicht: „Ok, ich mag dich schon ein wenig, also rasiere ich dich wie sonst auch jeden Tag. Aber wirklich gern habe ich dich nicht.“ Toleranz ist zwar schon auf dem Weg hin in die Liebe, aber so richtig warm ist sie noch nicht mit mir selbst. Ich bin ein aufgeklärter Mensch und bin mir darum bewusst, es wäre sinnvoll, mich zu mögen. Darum entschließe ich mich zur Toleranz, eher jedoch aus Verstandesgründen. Dann liebe ich mich schon ein bisschen, aber eher nach dem Motto: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“

Nehmen wir doch das Beispiel einer Rose. Wie würdest du eine Rose beschreiben? Wie ist deine innere Haltung gegen Rosen? Mach gern einmal für dich diese kleine Übung, bevor du weiter liest.

Manch einer würde vielleicht entgegnen: „Ich mag Rosen nicht. Immer, wenn ich eine pflücken möchte, steche ich mich dabei an ihren Dornen!“ Hier ist das Glas noch halb leer. Ein zweiter Beobachter wird vielleicht sagen: „Rosen mag ich über alles. Sie sind meine Lieblingsblumen. Gerade darum, weil sie Dornen haben. Sie lehren mich so die Achtsamkeit!“ Dieser Mensch hat seine innere Schönheit bereits entdeckt. Um noch einmal Goethe zu zitieren: „Blumen sind die schönen Worte und Hieroglyphen der Natur, mit denen sie uns andeutet, wie lieb sie uns hat.“

Offenbar hatte auch Goethe seine sonnenhaften Augen bereits entwickelt. Ich möchte sie gern als Herzensaugen bezeichnen. Ein Mensch, der die Augen seines Herzens geöffnet hat, sieht mit ihnen immer mehr Schönheit in seiner Welt, denn er findet immer mehr in die Liebe. Es gibt einen feinen Zusammenhang zwischen dem Erkennen von Schönheit und der Liebe, die im Herzen entflammt. Christian Morgenstern hat es auf den Punkt gebracht: „Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Je mehr jemand die Welt liebt, desto schöner wird er sie finden.“

Insofern lässt sich schlussfolgern:

 

Nur die Liebe kann die Liebe sehen.

 

Um das halb leere Glas als halb voll anschauen zu können, braucht es also die Kultivierung von Liebe in mir. Objektiv betrachtet ist das Glas nur zur Hälfte gefüllt. Da wäre noch Platz für eine weitere Hälfte Wasser. Das wird auch so bleiben. Aber wenn ich mich verändere, indem ich mein Herz öffne und in die Liebe finde, dann höre ich auf, mit dem halb leeren Glas zu hadern. Ich toleriere es nicht nur, nein, ich akzeptiere es sogar. Ich entdecke das hier verborgene Geschenk und sehe es als halb voll an. Denn ich habe gelernt, auch die Schattenseiten, Fehler und Mängel an mir selbst anzunehmen und zu lieben.

Das zur Hälfte gefüllte Glas ist dabei nur ein Synonym für mein ganzes Leben, die ganze Welt und alle ihre Umstände. Alles auf dieser Welt hat einen Makel, den ich anprangern kann: mein Körper, mein Partner, mein Job, mein Haus, mein Auto. Mich selbst. Mein ganzes Leben.

Auch auf das Wünschen und das Bestellen beim Universum bezogen hat dies sehr weitreichende Konsequenzen. Ganz einfach gesagt, ist jede Ablehnung meinerseits gegen Irgendetwas in meinem Leben ein allgemeines Signal an das Universum, dass ich meine Türe vor ihm verschließe. Mein innerer Schalter steht dann komplett auf „Zu“. Und wie soll dann beim Wünschen der kosmische Lieferbote mich erreichen, wenn ich mich doch vor ihm insgesamt verschlossen habe. Allein darum ist es von großem Vorteil, Akzeptanz in meinem Leben zu kultivieren. Denn wenn ich „Ja“ zum Leben sage, dann springt mein innerer Hebel in die Stellung „ Auf“. Und schon allein damit eröffne ich die Chance, dem Füllhorn der ungeahnten Möglichkeiten des Universums Einlass zu gewähren. Ich bin darauf in meinem neuen Buch „Danke für die Lieferung“ näher eingegangen.

Der Trick, um dies zu ermöglichen, besteht nun ganz einfach darin, mein Herz für alle Unzulänglichkeiten des Außen zu öffnen, da ich erkenne:

 

Der Fehler im Außen ist nur der Spiegel meines inneren Fehlers in mir selbst.

 

Mir wird bewusst, dass ich mir bei diesem Spiel der Abwertung und Ablehnung selbst nicht guttue. Ich drehe mich dabei unbewusst immer nur um mich selbst, so wie der Hund, der seinem eigenen Schwanz nachjagt. Dabei bin ich so sehr mit dem Jagen (und Anprangern von Fehlern) beschäftigt, dass mir für alles andere, etwa eine gesunde Selbstreflexion, kein Moment des Innehaltens mehr bleibt.

Die Basis, auf der ich lerne, die Schönheit und die Liebe in meiner Umwelt zu entdecken, ist Selbstliebe. Erst wenn ich beginne, mich selbst zu lieben, eröffnet sich auch das Geschenk meines Lebens.

 

Ich kann andere erst dann wirklich lieben, wenn ich gelernt habe, mich selbst anzunehmen und zu akzeptieren.

 

Denn alle Beziehungen, die ich mit anderen Menschen habe, sind letztlich geprägt von meiner Beziehung zu mir selbst. Solange ich mich nur immer wieder selbst kritisiere, ablehne und nicht gut finde, kann ich darum nicht erwarten, Lob, Akzeptanz oder Anerkennung von anderen zu erhalten. Dies ist vielleicht die weitreichendste Konsequenz der Aussage, dass der andere Mensch nur ein Spiegel für mich selbst ist.

Um in meinem Leben immer glücklicher werden zu können, braucht es das Glück zuerst in mir selbst. Auch wenn mir das so vorkommen mag, als sollte ich mich buchstäblich am eigenen Schopf aus dem Sumpf meiner Selbstanklage herausziehen. Die Tatsache, dass ich immer etwas zu jammern habe, hat etwas mit mir selbst zu tun, und nichts mit meinen Lebensumständen. Das Glück, das ich außen suche, liegt in mir. Darum sagt der Buddha: „Es gibt keinen Weg zum Glück. Glück ist der Weg.“

Denn unser Glück können wir nur in uns selbst entdecken. Es gibt darum keinen Weg, den wir zur Erlangung unseres Glückes zu gehen haben. Alle äußeren Bemühungen zur Erreichung dieses Zieles werden uns am Ende zurück nach Hause führen. Zu uns selbst. In unser Herz.

(In diesen Artikel sind Auszüge aus dem neuen Buch von Manfred Mohr „Danke für die Lieferung“ eingeflossen.)